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Lebensmittelverschwendung

Für die Tonne

Es ist kurz vor elf. 

Die Straßen sind noch nicht ganz leergefegt, ab und zu düst ein Auto vorbei. Ich husche mit dem Fahrrad verstohlen über die letzte rote Ampel – im Rucksack zwei der großen blauen IKEA Taschen – und biege auf den Supermarktparkplatz ein. Gerade fahre ich in Richtung Hintereingang, da höre ich es leise rumpeln und muss lächeln. Die anderen sind schon da. Drei Personen stehen im Licht der Taschenlampe vor einem Metallverschlag. „Hey, heute ist Bananentag“, ruft mir Antonia mit gedämpfter Stimme entgegen. Im Verschlag stehen die geöffneten Mülltonnen – voller Lebensmittel, vor allem Obst und Gemüse.

Was wir machen, wird „containern“ bezeichnet und ist in Deutschland illegal.

Wir entwenden den Müll, der faktisch noch Eigentum des Supermarktes ist, und machen uns damit nach § 242 StGB strafbar. Dazu kommt, dass wir in der Regel auf das Betriebsgelände eindringen und damit Hausfriedensbruch begehen (§ 123 Absatz 1 StGB). In unserem Fall heißt es, dass wir durch den kleinen Spalt unter der Tür des Metallverschlags durchrutschen, um sie von innen zu öffnen.

Ich gehe das Risiko erwischt zu werden ganz bewusst ein und stehe voll dahinter.

Warum? Weil in Deutschland laut dem Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft pro Jahr 12 Millionen Tonnen Lebensmittel weggeworfen werden (BMEL 2021). Es ergibt einfach keinen Sinn, gute und gesunde Lebensmittel auf diese Weise verkommen zu lassen. Insbesondere weil wertvolle Ressourcen wie Boden, Wasser, Energie, Arbeitskraft und Zeit für die Produktion beansprucht wurden und wir uns eine nachhaltige Zukunft wünschen.

Ausgerüstet mit einer Kopflampe und Arbeitshandschuhen durchsuchen wir die Tonnen. Die schiere Menge und Qualität der entsorgten Lebensmittel macht mich heute auch nach Jahren sprachlos.

Neben Bananen bergen wir Äpfel, Orangen, Paprika, Zucchini, Pilze, Sushi, Fertigsalate und einige Milchprodukte.  

Das Obst und Gemüse ist meistens etwas angeditscht, genauso oft ist es aber makellos. Besonders häufig handelt es sich um Obst- oder Gemüsenetze, wobei nur eine Orange oder Karotte einen Makel aufweist, während alle anderen frisch aussehen. Mitgehangen-mitgefangen ist das Motto und die Einheit landet als Ganzes im Müll. Bei Lebensmitteln mit Mindesthaltbarkeitsdatum wie Käse, Milch, Säfte o. ä. ist dieses meist gerade abgelaufen, zum Teil aber auch erst in mehreren Tagen fällig. Dann liegt es meist an einer Unterbrechung in der Kühlkette, einer beschädigten Verpackung oder die Produkte wurden aus dem Sortiment genommen.

Nicht immer ist klar, warum die Lebensmittel weggeworfen werden und wir rätseln gemeinsam, woran es gelegen hat.

Wie jedes Mal sortieren wir heute die Lebensmittel, die uns nicht mehr genießbar erscheinen, an Ort und Stelle aus. Was schlussendlich mitgenommen wird, ist auch eine persönliche Entscheidung. Während einige nur das mitnehmen, was sie selbst essen würden, retten andere aus Prinzip alles. Nachdem wir alle Tonnen einmal durchgesehen haben, sind die Kisten von Antonias Fahrradanhänger und meine IKEA-Tüten randvoll. In Antonias WG sichten wir anschließend unseren „Einkauf“ und teilen ihn auf. Alles wird gründlich gewaschen, getrocknet und sortiert. Während wir das machen, schauen wir ein weiteres Mal mit prüfendem Blick über die Sachen und legen Schlechtes beiseite.

Einschätzen zu können, welche Lebensmittel noch essbar sind, ist elementar beim Containern. Eine kurze Internetrecherche oder Rat von container-erfahrenen Menschen hilft dabei, das eigene Urteilsvermögen auszubilden.

Da containerte Lebensmittel oft nicht mehr so lange haltbar sind wie frisch gekaufte, spielt die Lagerung der geretteten Lebensmittel eine wichtige Rolle. Einige Infos dazu bietet z. B. das Bundeszentrum für Ernährung. Darüber hinaus ist es sinnvoll, sich mit Methoden des Haltbarmachens auseinanderzusetzen, wenn mitunter an einem Abend mehrere Kilo an Erdbeeren aus den Containern gerettet werden.

Zurück in die WG: Mittlerweile ist es kurz nach zwölf und ich mache mich auf den Heimweg. Schwer bepackt sitze ich auf dem Fahrrad und freue ich mich schon auf einen leckeren Bananen-Smoothie am nächsten Morgen.

Text: Kristina Gumgowski

 

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